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Geschichte für ein Badewannenbuch

Bert kennt eine Frau, die hat nur drei Einstellungen für ihr Gesicht. Diese Sparsamkeit der Mittel begeistert Bert. In ihrer Reduktion ist sie eine Künstlerin, denkt er, verschreibt sich unbeirrt der vielen Möglichkeiten bedingungslos der einmal getroffenen Wahl.
Viele Menschen versuchen ein lebendiges Kunstwerk zu sein, stimmen ihre Kleidung auf ihr Gesicht und die Frisur auf das Gesamtergebnis ab. Oder umgekehrt.
Aber statt, daß sie die Veränderung, die zwangsläufige Weiterentwicklung und Vollendung des Kunstwerkes begrüßen, fürchten sie sich vor dem Altern. Bert nimmt an, daß dies die Ursache für das mangelhafte Kunstverständnis der Massen sei.

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Vom Balkon aus belauert A die Straße. Gegenüber lehnen Mann und Frau. Über der Fensterbrüstung. Sie haben ein Kissen untergeschoben, Gesichter wie ausgezogene Schubladen. Schulkinder lärmen vorbei, an der Hauswand steht: Giovanni liebt Susi. Die Abgase und der Hefegeruch aus der Bäckerei sind noch gleich stark, als die Angestellten kommen: Frauen mit großen Brillen und aufgemalten Mündern. Jemand grüßt Mann und Frau über der Brüstung und beneidet sie um ihr schönes Plätzchen. Ja, wenn man nur auch schon so weit wäre. Wir haben auch schon zwei Kriege erlebt, sagt die Frau und der Jemand macht sich eilig davon.
A und ihr Liebster teilen den Balkon mit den Nachbarn. Ein ausgestülptes gemeinsames Zimmer, ein äußerer Verbindungsweg ins Innere der Wohnungen. Hier draußen zu arbeiten gibt A das Gefühl, weniger zu Ergebnissen verpflichtet zu sein als am eigenen Schreibtisch. Als wenn der Zufall - was die Mütter zu ihren Kindern über die Straße rufen, oder wer am Fenster gegenüber zu sehen ist, die Arbeit leichter werden ließe.

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