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Geschichte für ein Badewannenbuch

Bert belehrt die Autorin:
Stellen Sie sich einen idealen Leser vor, der an einem schönen Sommermorgen mit einem neuen Buch in den Park geht.
Selbst, wenn er sich in der festen Absicht, sich durch nichts stören zu lassen auf eine Bank setzt, werden ihm die Augen davonlaufen. Sie sind nur mit Mühe auf die Buchstaben festzulegen, wo es doch Bäume gibt, Gras, Hunde, vielleicht sogar ein paar Menschen. Aber schließlich kehren sie doch kurzfristig gesättigt wieder zurück, und hier liegt Ihre Chance als Autor. Zwingen Sie den Lesenden sich noch einmal umzuschauen. Vielleicht sieht er doch noch einen Bekannten. Geben Sie ihm die Möglichkeit, sich ausgiebig den Himmel zu betrachten, den Blütenduft einzuatmen oder sich über den Fluglärm und die Polizisten zu ärgern. Und über die letzten Skandale der Regierung nachzudenken. Jetzt erst können Sie ihn als einen möglichen Verbündeten betrachten. Halten Sie sich immer vor Augen: Ein Buch zu lesen, ist die unsinnlichste Art zu sehen. Das rät Ihnen einer der es wissen muß, denn ohne die Badewanne, sagt Bert, hätte mich A nicht erfunden.

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A ist mit dem Liebsten aufs Land gefahren. Keine fünfzig Kilometer mit der Bahn, aber fast schon eine Reise. In Weiler dreißig Minuten Aufenthalt. Später Samstagnachmittag, die Straßen sind gekehrt, die Sportschau hat noch nicht angefangen. Der Wartesaal ist abgeschlossen, die Bänke sind naß, auf dem Vorplatz ist der Boden mit aufgeweichten Kastanienblüten bedeckt. Ein paar Schritte über die Straße und sie sind beim Wirtshaus »Zur Rose«: selbstgemauerte Terrasse, Geranien, zwei Tische mit hochgeklappten Stühlen, rote Plastiksitze mit schwarzen Beinen. Das Blätterdach hält den Regen ab, der warm, fast wohltuend fällt. A sieht sich argwöhnisch nach einem Hund um, denkt an eine schwerfällige Dogge. Sie kippen die Stühle zurück, wischen mit dem Ärmel flüchtig über die Sitzfläche, zanken sich darum, wer Bier holen geht.
A bleibt alleine zurück. Der Wind fährt durch die Blätter, ein Stoß Blüten weht auf den Tisch. Der Regen läuft gleichmäßig weiter. Der Liebste kommt mit dem Bier, das Helle, wie es sich vom Kastaniengrün abhebt und den Regen eingefangen hat. In der Gaststube liegt tatsächlich ein junger Schäferhund, ein paar Männer spielen Karten.
A kriegt den Schaumbart vom Mund geküßt, sie liegen sich lang in den Armen.


A trifft einen Bekannten, der wieder in ihre Heimatstadt zurückkehren will. Die Metropole mit ihren Biergärten und Konzerten habe ihn losgelassen. Ihr fehle es an Umland, er vermisse die Obstgärten, die blühenden Kirschbäume im Frühjahr, die verbuckelten Häuser. Stattdessen Vorstädte, geschlossene Einheiten. Die handwerklichen Traditionen prägten die Menschen stärker, als er gedacht habe, und eine Stadt bestehe weniger aus dem Zentrum als aus dem flachen Land und dem Ausmaß seiner Eigenständigkeit.

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